Julian in Ghana

Ein Text von Sulaiman Masomi, einem deutschen Schriftsteller und Poetry Slammer, beginnt so: “Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack, Klack…Klack…..Klack…….Klack……..Klack.
Es ist dieser Moment, wenn das Klackern langsamer wird und die Achterbahn ihren Zenit erreichend in den Startlöchern sitzt.
In diesem Moment solltest du nochmal alles genau beobachten.
Denn wenn dein Leben losgeht, wie eine irre Achterbahnfahrt, dann fehlt dir die Zeit, die Dinge in Ruhe zu betrachten.
Schemenhaft huscht alles an dir vorbei und trotzdem werden jetzt die wichtigsten Entscheidungen verlangt.
Darum ist es wichtig, dass du die Welt beobachtest, während es noch klackert.“
Es war wohl einer der wichtigsten und prägendsten Entscheidungen in meinem Leben, alles nochmal in Ruhe zu betrachten, bevor es so richtig losgeht. Ich habe so viel von Ghana gelernt.

Es war schon was, als mir mein Vater diesen Flyer in meinem stürmischen Leben vor knapp zwei Jahren auf den Tisch legte. Damals wusste ich noch nicht, dass wenn ich diesen Flyer lese, dass das einer der schönsten und prägendsten Erlebnisse meines Lebens in Gang setzen wird. Es ging nach Ghana, zusammen mit meiner Mitfreiwilligen, zu einem Priester, Fr. Tony, für ein Jahr. Und alles, wirklich alles, passte, als spielte jemand Tetris für mich. Und in dem Jahr wurde für mich oft Tetris gespielt.

Ich traf auf Situationen, die mir unpassend, ja ungemütlich vorkamen, doch in jeder schwierigen Situation bot sich auch Platz, diese mit was neuem zu füllen, um mein Jahr auszufüllen und es zu einer Erfüllung zu machen. Ich war oft krank, fand lange nicht meinen Zugang zu der Gruppe, hatte Integrationsschwierigkeiten und arbeitete starr meine Arbeitszeit ab. Doch als ich krank war, hatte ich Menschen um mich, die für mich da waren, als ich meinen Zugang zu der Gruppe nicht so recht finden konnte, fand ich Zugang zu neuen Menschen, als ich Schwierigkeiten bei der Integration hatte, fand ich den richtigen Zeitpunkt, mir in den Arsch zu treten, um auf die Leute zuzugehen und als ich starr und manisch meine Arbeitszeit abarbeitete, lernte ich im entscheiden Moment flexibel zu sein.

Gerade die Flexibilität hat mich nachhaltig verändert. Es geht für mich darum, mein Leben, soweit es innerhalb aller Regeln geht, meinen Bedürfnissen anzupassen. Ich habe nämlich erkannt, dass mich Zwang und Druck zu lange in meinem Leben begleitet haben und mich eigentlich unglücklich machen. So steige ich nun immer mal wieder aus, um zu erkennen, wie ich frei sein kann, um glücklich zu sein.

Irgendwo jedoch, setze ich mir heute ganz bewusst Grenzen und das vor allem im Bereich Konsum. Erkannt zu haben, dass ich durch eine Kaufentscheidung zur Ungerechtigkeit oder Gerechtigkeit in der Welt beitragen kann, war einer der krassesten Erfahrungen meines Lebens. Ich habe das bisher nie so wahrgenommen, wie ich da in der Achterbahn saß, einem System folgend. Da flogen mein Konsum und die globalen Verknüpfungen nur so schemenhaft an mir vorbei. Ich konsumierte einfach nur, ohne nach links und nach rechts zu schauen. Ich schaute nur nach vorn, da wo das gute Leben warte.

Hey! Das gute Leben und alles, was du da dazu brauchst, ist im Hier und Jetzt! Das Leben ist nur im Hier und Jetzt!

Das habe ich dann irgendwann erkannt und so ist mir meine Familie und meine Freunde heute das wichtigste. Ich glaube, dass ich vorher zu viel in eine Zukunft investiert habe, die am Ende nicht aufgeht. In allen Phasen der Einsamkeit und anderen schwierigen Phasen, waren es immer meine Freunde und Familie, die dann noch da waren, als alles andere nicht lief.

Ich glaube deshalb, dass ich einen Fehler mache, wenn ich später von sechs bis sechs arbeite. Denn, wozu so viel arbeiten, wenn man am Ende eh nichts von dem Geld hat, zu viel Konsum nicht gut für die Welt ist und sowieso die Gefahr besteht, wahre Werte im Leben durch Materielles zu ersetzen.

Aber auch das Thema Integration hat mich nachhaltig verändert. Denn es war ja schon nicht ganz leicht, da auf dem ICARD, einem geschlossenen Compound, mit Mitarbeitern, Schülern und Sicherheitsmännern. Jeder der Menschen dort besaß eine Funktion, war quasi in einem Job. Es war eben nicht, wie bei mir zu Hause in einer Siedlung, in einem Dorf, sondern ein abgeschotteter Compound, innerhalb von einem Dorf. Und dann wohnten wir innerhalb des ICARD sogar noch abgeschottet in einem eigens für uns gebauten Haus, sahen anders aus, bekamen unser eigenes Essen, unternahmen unsere eigenen Sachen, hatten unseren eigenen Job, unsere ganz eigenen Privilegien. Das erzeugte bei den Studenten häufig Verwirrung, sie wussten uns nicht so richtig einzuschätzen, wieso, weshalb und warum wir da waren. Sie trugen Uniformen, meistens einen ähnlichen Haarschnitt, haben eine andere Geschichte und Kultur erlebt. Ich war sowas von anders, wie ich da mit meinen dreckigen Farmklamotten an ihnen vorbeilaufe. Und häufig war ich es, der den ersten Schritt wagen musste, der Schritt ging nicht von ihnen aus. Ich bin neu hier, ich muss auch auf die Leute zugehen. Hinzu kam auch das Zeitalter der Digitalisierung, wodurch jeder sein ganzes medial geprägtes Vorurteil gegenüber uns Weißen hatte.

Häufig war zwar was los und trotzdem war ich einsam, denn die Sprache war anders und ich hatte keinen Plan von ihrem Plan. Häufig mussten auch viele über mich schmunzeln, wenn ich ich selbst war. Manchmal war ich dann auch ziemlich sauer und wütend, wieso es bei einem so offenen Typen wie mir trotzdem nicht klappt zwischen mir und den Studenten. Und wenn dann mal welche aufgeschlossen gegenüber mir waren, hab ich sie verdächtigt, das nur zu tun, um bei Tony, meinem Ansprechpartner, ein gutes Bild abzugeben. Integration bedeutete für mich unter Anderem Einsamkeit, Wut und Enttäuschung. Diese Erfahrungen geben mir heute ein besseres Verständnis von Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchteten in unserem Land. Denn ich war selbst ein Migrant – auf Zeit. Und das sogar noch mit enormen Privilegien. Ich konnte jederzeit nach Hause in ein sicheres Herkunftsland zu Freunden und Familie. Ich verfügte über mehr als ausreichende finanzielle Mittel und allein schon meine Hautfarbe bot mir gewisse Privilegien, die manchem Ghanaer nicht zu Teil wurden. Hinzu kommt, dass ich in einer Art Gastfamilie lebte, durch die ich Teilhabe an kulturellen und gesellschaftlichen Ereignissen hatte. Und außerdem hatten viele Ghanaer mehrheitlich ein gutes Bild von mir als weißen Deutschen im Gegensatz zu einem syrischen Flüchtling, der heutzutage bei uns in Verdacht stehe, zu schmarotzen und die Unterdrückung der Frau weiter voranzutreiben. Es bleibt nur die Frage, welcher Prototyp mehr Schaden in der Welt anrichtet. Der syrische Flüchtling wohl nicht. Es gibt noch so viele Dinge, die mich und einen Migranten unterscheiden, weil ich so viele Privilegien in Ghana genoss. Und trotzdem war ich manchmal einsam und empfand deshalb Wut und Enttäuschung gegenüber Ghanaern. Umso mehr gibt mir die Erfahrung als ein Migrant auf Zeit, die Möglichkeit heute besser Emotionen und Verhalten von Migranten zu verstehen, anstatt sie in eine rechtspopulistische Schublade zu stecken, wie es viele, manchmal ganz unbewusst, tun. Migranten haben es nicht leicht. Nach dem Jahr fühle ich mich Migranten nun mehr denn je, verbunden.

Aber hat das Thema Integration für mich einen guten Abschluss gefunden? Ja, definitiv. Gerade in den letzten zwei, drei Monaten hatte ich zu vielen ein sehr offenes und freundschaftliches Verhältnis. Oft gesellte ich mich bei manchen Aktionen dazu und wenn Sport angesagt war und ich Zeit und Lust hatte, war ich dabei. Der Höhepunkt war wohl die „closing mass“, dem Tag als die Studenten in ihre Sommerferien entlassen wurden und auch dem Tag, als wir uns das letzte Mal sahen. Dafür habe ich ein Handout vorbereitet, in dem ich meine Perspektive auf meinen Freiwilligendienst durch ein Schema und Stichpunkte deutlich gemacht habe. Um das ganze vorzutragen, wurde mir die große Ehre zuteil, Tony´s Predigt dafür zu nutzen, meine „Mission & Vision“, wie wir es genannt haben, vorzutragen. Und das vor über einhundert Studenten - auf Englisch. Das war schon ein Erfolg für mich und ich glaube, dass ich da nachhaltig was bewegen konnte, um endlich der Skepsis Offenheit Weg zu machen. Als ich das beendet habe und mit großem Applaus mich wieder hingesetzt habe, war mein Freiwilligendienst für mich vorläufig abgeschlossen. Ich habe das gemacht, was mit am meisten Überwindung kostete, aber mir auch zugleich die ganze Zeit am Herzen lag. Außerdem habe ich es mir in den letzten Tagen nicht nehmen lassen, einen kleinen Ausstand zu schmeißen und meine guten Farmkollegen Alhassan, Sam, Hypolite und David auf ein kühles Bier einzuladen. Es war ein schöner Abend!

Es gab und gibt heute immer mal wieder Pattsituationen. Mein Weg führt mich dann jedoch immer häufiger zu meinem Glauben und zur Bibel. Für mich ist das manchmal wie Meditation in der Bibel zu lesen, denn zu wissen, dass es im Grunde genommen die ganze Welt in einem Buch ist und enorm viel Menschheitserfahrung darin steckt, die ein einzelner nie erlangen könnte, gibt Kraft und meinem Leben Balance.

Ich erinnere mich nun gerne an ein Jahr zurück, dass mir die Möglichkeit bot, mal auszusteigen aus dieser irren Achterbahnfahrt und die Dinge in Ruhe zu betrachten. Soviel hielt es bereit für mich, um genau das zu lernen, was für mein Leben wichtig ist. Ich habe wunderbare Menschen getroffen, mit denen ich vorher noch nie etwas zu tun gehabt habe und die von einem völlig anderen Teil der Erde kommen und für mich und ich für sie trotzdem zur Familie geworden sind. Es war vor allem Tony, ohne den mein Jahr nicht so verlaufen wäre, wie es verlaufen ist. Seine Liebe zu uns, seine Ausdauer uns immer wieder mit einzubeziehen und seine Geduld und Weltoffenheit über gewisse Themen zu reden und diskutieren, gaben den entscheidenden Faktor zum Gelingen dieses Jahres. Er war ein Gastpriester für mich, genauso wie ein Gastvater und ein Gastbruder. Zuletzt ist und bleibt er ein sehr guter Freund in meinem Leben. Es war aber auch die Mutter von Father Tony, Veronica, die Teil meiner Gastfamilie war, genauso wie Matina und Becky, die zwar unsere Köchinnen waren, aber für mich zur Gastmutter und Gastschwester wurden. Zuletzt waren es auch die Kinder von Matina, Cobbi und Franklina, mit denen ich so viele schöne Erinnerungen teile. Es ist einfach bemerkenswert, wie weit entfernt man manchmal ist und sich doch so nahe sein kann.

So wie Tony, Veronica, Matina, Becky, Franklina und Cobbi zu meinen Brüdern und Schwestern geworden sind, werden dies auch andere Menschen sein. Wir sind uns so nahe und trotzdem unterscheidet uns ein entscheidender Faktor: Ich habe die Wahl, sie leider nicht. Daraus erwächst für mich die Verantwortung, mein Leben versuchen so zu führen, dass ich das immer in Gedanken an meine Brüder und Schwestern in Ghana und überall auf der Welt tue.

Julian