Jonathan auf den Philippinen

Im folgenden Text werde ich über meinen Wandel, meine Erkenntnisse, meine Leiden und meine Freuden während des Freiwilligendienstes schreiben. Ich hoffe damit euch Mutigen vom Fernweh geplagten meine Perspektive eröffnen zu können.

Als ich in mein Jahr auf den Philippinen startete, hatte ich lange Dreadlocks, lebte noch nie länger als ein paar Wochen in einem fernen Land und dieses ferne Land befand sich auch noch innerhalb Europas. Dennoch identifizierte ich mich stark als „Weltbürger“, sah in der deutschen Gesellschaft lediglich viele Vorurteile, besaß selbst eine sehr starke Meinung zu vielen Dingen, war an interkulturellen Zusammenhängen sehr interessiert, dachte ich hätte nach meinem Abitur vieles schon verstanden und sah im Ausland einen Traum auf den ich lange gewartet hatte.
Was ich nicht sehen wollte, blendete ich aus und dachte ich würde alles sehen. Aus jetziger Perspektive eher arrogant und naiv. Ich bin sehr dankbar, dass meine Organisation an mich geglaubt hat.
Ich vergaß die Bedeutung meiner sozialen Prägungen der vergangenen Jahre in Deutschland und war mir sicher, nach meinem Abitur bereits viele bunte kulturelle Erfahrungen gesammelt zu haben. Heute weiss ich, dass es in jedem Fall noch viel zu lernen gab.
Ich unterschätzte auch, wie es sich für mich anfühlen wird über gesammelte Erfahrungen, welche ich sehr intensiv wahrnam, kaum reden zu können. Hier war es eben Alltag, Selbstverständlichkeiten, welche mir komplett neu waren.
So wurde mir sehr wichtig diese Erfahrungen auf meinem Blog offen mit anderen Menschen zu teilen. Darüber zu schreiben hilf mir sehr meine eigene Situation und Handlungen zu reflektieren. Meine unfassbare Neugier auf Neues und auf das mir noch Unbekannte gab mir allerdings auch in schweren Situationen viel Kraft durchzuhalten und mit mir selbst zu ringen.

Ich hatte zwei Hände mit denen ich meine Hilfe anbieten konnte und war zu jeder Zeit bereit zu lernen. Ich war mir bewusst, dass es ein Lernservice war. Es ging nicht darum gar etwas zu verbessern. Ich bin Einer unter Vielen. Wie vermessen zu denken ich sei besonderer als der nächste neben mir. Was hatte ich nach meinem Abitur schon anzubieten.
Durch den interkulturellen Austausch, des Erlernens essentieller Zusammenhänge, wird diese einzigartige Erfahrung allerdings mein ganzes Leben in positiver, weitsichtiger Art und Weise prägen, sowie hoffentlich auch das meiner Mitmenschen. Ich lernte Vieles über mich was mir sonst noch lange verschlossen geblieben wäre.

In Seminaren lernte ich zuvor die Perspektive zu wechseln, sozusagen die Theorie, um mir das Kommende zu erklären, aber niemand hätte mich auf meine Gefühle, meine Illusionen und Herausforderungen vorbereiten können. Dafür musste ich den Schritt aus meiner sozialen Komfortzone wagen, mich auf die Reise begeben.
Nichts ist intensiver als mein Leben zu erleben, neue, mutige Erfahrungen selbst zu machen und nicht nur davon zu lesen. Eure Organisation versucht euch dabei die perfekten Rahmenbedingungen zu schaffen, doch ist jeder Dienst einzigartig und oft unvorhersehbar. Wäre doch auch langweilig, wenn dem nicht so wäre.

Als ich in meinem Projekt ankam, war ich der Nationalsprache Tagalog kaum mächtig, daneben sprachen die Menschen eine weitere lokale Sprache. Englisch wurde kaum gesprochen, was noch lange eine Barriere darstellen sollte. Die oft getroffene Aussage, dass man eine Sprache selbstverständlich in kürzester Zeit erlernt, wenn man dort lebt, hat sich in meinem Fall leider auch nicht bewahrheitet. Viel eher bedeutet es Lernen, Bücher wälzen und den Mut haben zu reden auch wenn es eine grammatikalische Katastrophe sein sollte. Meine Handlungen wurden zu meiner Form der Kommunikation. Schnell merkte ich, dass ich nicht die geringste Idee hatte, wie ich Reis ernten, Hütten bauen oder einen Wasserbüffel reiten sollte. Oft empfand ich mich selbst als eine unnötige Last. Auf viele Dinge hatte meine Gastfamilie eine Perspektive, die ich dort nicht verstand: Dreadlocks sind nicht alternativ und ein Zeichen für Naturgebundenheit sondern einfach nur unhygienisch, Deutsche stinken doch sowieso. Lange Haare als Mann? Umarmungen ? Wir sind doch nicht liiert!
Es wurde wenig gesprochen. Ich hatte wenig Möglichkeiten des Austausches mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gesammelt hatten,die mich verstehen konnten. Für die Menschen mit denen ich lebte war es nun mal der ganz normale Alltag. Ich lernte, dass ich der einzige bin, der sich anpassen konnte, es auch nichts ist, was ich von anderen erwarten konnte. Ich trage die Verantwortung für mich selbst und bin der auch der Einzige, welcher meine äußeren Umstände ändern kann, wenn das nötig ist.
Oft standen meine Emotionen meiner Vernunft im Wege und ich hatte reichlich Zeit über Dinge nachzudenken, während ich den ganzen Tag 45 kg Reissäcke auf meinem Kopf von A nach B trug. Dabei musste ich mir auch gar nicht erst einbilden mit den anderen mithalten zu können. Romantisch ist das im Übrigen nicht.
Meine Fernbeziehung schmerzte sehr. Ich fühlte mich unter Menschen, die so viel mit mir teilten, doch so allein. Es gab viele Konflikte mit meiner Gastmutter und doch sprach man wenig darüber. Ich allerdings hatte das Gefühl über alles sprechen zu müssen.
Ich lernte wie anders Menschen leben können und, dass es für mich nicht immer reicht, dass wir doch alle Menschen auf einer runden Welt sind. Ich wurde emotional immer schwächer, weinte oft. Es dauerte viel zu lang bis ich beschloss meine Verantwortung für mich selbst zu tragen, viel zu lang bis ich mich anpasste, besonders auch mein äußeres Erscheinungsbild. Schließlich wechselte ich mein Projekt. Als ich erkannte, dass ich dann wirklich frei bin, wenn ich die Verantwortung für jede meiner Handlungen übernehme und nicht den Drang habe alles klären zu müssen, änderte sich viel. Ich lebte. Ich dachte nicht, ich handelte. Ich lernte loszulassen, so auch von meiner Freundin. Ich ging reisen und konnte meine gesammelten Erfahrungen aus einer gesunden Distanz reflektieren. Viel unterhielt ich mich mit anderen Reisenden über ähnliche Erfahrungen und liebte die Kinder in meinem neuen sozialen Projekt.

Ich hatte gelernt zu sehen, neue Perspektiven einzunehmen, andere zu verstehen, dass ich keine Rolle spiele- meine Handlungen jedoch schon, Gemeinsamkeiten zu finden, wo ich keine sah, Verständnis und Mitgefühl zu hegen, aber nicht zu erwarten. Es hatte sich gelohnt so mit mir selbst zu kämpfen.
Ich genoss ein einfaches Leben, wie die kalte Dusche am morgen, kämpfte weiter gegen mich selbst, und auch gesundheitliche Probleme warfen mich nicht mehr aus der Bahn.
Ich hatte Freunde verteilt in den ganzen Philippinen und reiste oft 6 Stunden um diese zum Beispiel in Manila zu besuchen. Für Deutsche scheint es meist weit, für mich einfach nur ein kleines Nickerchen. Ich habe Zeit. Ich lernte Performance Art kennen und wurde ein kleiner Teil der Kunstszene Manilas. Ich hatte die Kraft und Energie gefunden mein Leben zu gestalten und immerwährend die Schönheit dessen zu sehen ohne mich zu beschweren. Hierzulande hatte ich mich über das Wetter beschwert, die dauernde Werbung, lange Fahrten, wenn der Bus zu spät kam, war oft genervt oder fühlte mich gestresst. Ist doch alles egal. Ich fand eine Ruhe das Leben zu genießen, nichts zu erwarten.
Doch gibt es auch Dinge, die ich nicht ändern konnte und mir schwer vielen zu akzeptieren. Zum Beispiel die omnipräsente Armut. Menschen sterben, das ist doch normal, das akzeptieren zu können ist etwas anderes. Das Baby nackt auf dem überlaufenen Bürgersteig Manilas, weil die Mutter bettelt? Ein Präsident, der die Slums einfach anzündet; Kinder, deren Eltern von Deathsquats erschossen wurden; Kinder, die an Unterernährung starben; Menschen, die in Gruften wohnen mussten, weil es kein Platz gibt. Das Leben ist real. Auch hier in Deutschland schlafen Obdachlose bei -20 °C draußen. Das kann man mit Kopfhörern im Ohr und dem Handy in der Hand so einfach vergessen. Ist doch toll. Mir fällt es heute noch schwer das Gefühl der schieren Hilflosigkeit einfach zu akzeptieren. Das Leben ist kein Zuckerschlecken aber doch ist es zu jeder Sekunde von unfassbarer Schönheit.

Und wenn mich jetzt jemand fragt „Na wie war‘s auf den Philippinen? Bestimmt wunderschön oder?“, dann ist „unbeschreiblich“ wohl die ehrlichste Antwort. So viele Erlebnisse, so intensiv, so lehrreich, so lebendig, so unfassbar. Ich hoffe das gelernte nie zu vergessen.
Ihr da draußen, die den Mut aufbringt, die Welt zu entdecken, lasst euch nicht halten. Habt keine Angst. Es wartet mehr auf uns, als wir uns je vorstellen können und es gibt viele Menschen, die euch dabei unterstützen möchten. Ich habe mich gewandelt, habe gelernt und doch bleibe ich nur ein Lernender, der versucht seine Hände anzubieten.